Mit ihrem Austritt aus dem schützenden Mutterleib beginnt für die Welpen das Leben in dieser Welt mit einem dünnen Schrei. Dabei wird das Mäulchen weit aufgerissen, die Zunge hervorgestreckt, und der erste, jenen Schrei erzeugende Luftstrom, der aus ihrer Brust herauskommt, fördert einige Schleimrückstände aus den Atemwegen. Sobald ihn die mütterliche Zunge freigibt, kriecht der Welpe mit aller Entschlossenheit auf dem Bauch zum Bauch der Mutter, und nach kürzerem oder längerem Suchen findet er auch schon die Milchquellen. Sein darauf folgendes Schmatzen ist unüberhörbar.
Ein Welpe wird mit verschlossenen Augenlidern und Ohren geboren. Auch sein Geruchssinn ist noch nicht wesentlich ausgebildet ist. Wie also findet der Welpe zu den Zitzen? Welche Kräfte treiben ihn überhaupt an, das zu tun? Wieso weiß er, was er tun muß?
Man spricht gemeinhin von Instinkten und denkt, damit wäre alles erklärt. Aber so einfach ist das nicht. Die Verhaltensforschung hat längst das etwas vieldeutige Wort Instinkt durch den Begriff der Erbkoordinationen ersetzt oder die oft komplexen und schwer durchschaubaren Instinkthandlungen in solche aufgelöst. Eine Erbkoordination ist eine erblich festgelegte Bewegungsweise, die von bestimmten Umweltsituationen ausgelöst wird und dann zwanghaft abläuft. Solche Auslöser nennt man »Schlüsselreize« , weil sie gleichsam ein Schloß aufsperren, wodurch die Erbkoordination freigesetzt wird. Das wieder ist dadurch möglich, daß in bestimmten Nervenzentren beständig Impulse erzeugt werden, die zur Entladung, also zum Ablauf der betreffenden Erbkoordination drängen. Sie werden aber von anderen Nervenzentren blockiert. Diese Blockade wird sofort aufgehoben, wenn über die Sinnesorgane ein passender Schlüsselreiz gemeldet wird.
Wichtig ist, daß durch die beständige Erregungsproduktion die aufgestauten Impulse gleichsam immer mehr unter Hochspannung stehen, je länger kein Schlüsselreiz auftrat, der eine Entladung herbeigeführt hätte. Das bringt dann mit sich, daß es zu einer Erniedrigung der Reizschwelle kommt, das Tier spricht also auf den geeigneten Schlüsselreiz auch dann an, wenn er nur von geringer Intensität ist und von einem normal abreagierten Tier gar nicht beantwortet werden würde. Das kann sogar soweit gehen, daß es irgendwann einmal auch ohne Schlüsselreiz zur Entladung der aufgestauten Energie kommt, die Erbkoordination bzw. Bewegungsweise läuft ab, ohne irgend etwas zu beantworten - was man als »Leerlaufreaktion« bezeichnet.
Ein praktisches Beispiel: Die haarlose, zapfenförmige Zitze ist für den Welpen so ein Schlüsselreiz. Wird sie ihm über Sinnesorgane - in diesem Fall durch den Tastsinn - signalisiert, löst das eine Erbkoordination aus, nämlich das Umfassen der Zitze mit Maul. Aber schon wirkt dieser neue Berührungsreiz als Schlüsselreiz, der eine Blockade aufhebt, das Saugen folgt.
Setzt man einen solchen Welpen nun von der Mutter ab und gibt ihm keine Möglichkeit, an etwas zu saugen, kann man nach längerer Zeit das Auftreten von Leerlaufreaktionen beobachten: Der Welpe öffnet sein Maul, als wollte er eine Zitze erfassen, und er saugt unter den typischen Mundbewegungen ins Leere. Der Erregungsstau ist zu groß geworden, die normale Blockade wird durchbrochen. In so einem Zustand ist der Welpe auch bereit, an Dingen zu saugen, an denen er vorher nicht gesaugt hätte. Nimmt man einen Welpen von der mütterlichen Zitze ab und hält man ihm den Finger hin, so interessiert ihn dieser nicht. Holt man aber einen Welpen gegen Ende einer Schlafpause aus dem Lager, so ist er bereit, es mit unserem Finger zu versuchen.
Der neugeborene Welpe bringt nichts anderes mit auf die Welt, als einige wenige angeborener Bewegungsweisen und die Lautäusserungen. Er gibt sofort Laut, wenn ihm irgend etwas abgeht oder unangenehm ist. Das ist sehr wichtig, denn ein solcher Laut ist wieder ein Schlüsselreiz für die Mutter - sie wendet sich sofort dem Welpen zu. Das Geschrei des kleinen Saugwelpen ist eigentlich eine Dauerleistung, die nur durch bestimmte Dinge unterbunden wird. Er wird gleich wieder still, wenn er Wärme und Anlehnung findet, sei es am mütterlichen Körper, oder inmitten seiner Geschwister. Er schreit, wenn er von seiner Zitze verdrängt wird, und beruhigt sich sofort, wenn er sie wieder hat oder eine andere findet. Dabei hilft dann oft die Mutter mit ihrer Nase , indem sie den Welpen zurechtschiebt. Besonders wichtig wird dieses Unwillensgeschrei, wenn der Welpe aus dem Lager gerät. Sofort ist die Mutter da, faßt ihn vorsichtig mit den Zähnen und legt ihn wieder ins Lager.
Welpen, die noch blind sind kriechen niemals geradlinig, sondern immer im Kreis. Dieses Kreiskriechen ist auch eine angeborene Verhaltensweise. Sie dient dazu, den Welpen dicht am Lager zu halten.
Bei der Suche nach Wärme und Anlehnung ist dem Welpen die eigenartige Kopfbewegung behilflich: Der Kopf pendelt förmlich von einer Seite zur anderen.
Erstaunlich ist auch, wie gut ein Welpe gleich nach der Geburt den verhältnissmässig grossen Kpf schon hochheben kann. Auch das ist wichtig. Gelangt er an den Bauch der Mutter, muss er erst die Zitzen suchen. Dazu dient ihm das "Fellbohren", ein Hochschieben der Nase unter dem Fell. So wühlt er sich durch das Bauchfell, bis er das Gesäuge findet.
Beim Saugen selbst sind noch zwei Bewegungsweisen zu finden: Das Abstemmen mit den Hinterbeinen am Boden, um einmal an der Zitze zu bleiben, zum anderen um mit dem Kopf kräftig gegn die Milchdrüsen zu stossen, was die Milchproduktion anregt. Dieser Aufgabe dient natürlich auch der Milchtritt.
Damit wurde alles beschrieben, was der Welpe von Geburt an kann. Das ist nicht viel, aber es genügt für die ersten zwei Wochen vollauf. In dieser Zeit ist der ganze Lebensabschnitt des Welpen auf Gewichtszunahme abgestimmt- er verdreifacht jetzt sein Geburtsgewicht. Daher besteht sein ganzer Daseinsinhalt aus Trinken und Schlafen.
Wer Hunde züchtet, sollte diese ersten Reaktionen des neugeborenen Welpen sehr genau beobachten und verfolgen. Wenn ein Welpe sich schwächer, inaktiver und langsamer zeigt als seine Geschwister, dann heisst das, dass sein Nervensystem und damit sein allgemeiner Zustand nicht in Ordnung ist. Sein "Biotonus" ist schwach. Sollte er dennoch hochkommen und heranwachsen, wird es nie ein gesunder Hund. Denn man darf nicht vergessen, daß aus dem, was der Welpe in der Stunde seiner Geburt mitbringt, einmal alles das werden soll, was ein erwachsener Hund haben muß, um ein guter Hund zu sein. Wenn dieses "Ausgangsmaterial" bereits nicht viel taugt, was ist dann für die Zukunft zu erwarten?
Alle wenigen Verhaltensweisen, die wir am neugeborenen Welpen beobachten können, ihren Sitz im verlängerten Rückenmark und im Zwischenhirn haben. Das sind die ältesten Gehirnanteile, gleichsam die Basis für das übrige Gehirn, das jenen Anteilen aufgelauert ist und das zur Stunde der Geburt kaum noch arbeitet. Wenn also diese Basis bereits geschwächt ist, kann man schwerlich erwarten, daß die später in Funktion tretenden höheren Gehirnleistungen viel besser werden.
Liegen die kleinen Welpen eng aneinandergeschmiegt und machen ihre Schlafpause, könnte man annehmen das hätte etwas mit Sozialkontakt zu tun. Nimmt man einen Welpen weg dann schreit er kläglich und will wieder zu seinen Geschwistern. Er ist aber auch zufrieden, wenn wir ihn mit einer angewärmten Decke oder einem Gummiball zusammenbringrn. Es geht ihm nicht um seine Geschwister, sondern um seine eigene Sicherheit. Unter natürlichen Bedingungen ist dort, wo es warm und weich ist, das Lager, und da, wo man allein ist Gefahr. Das ist wohl die Funktion des Kontaktliegens der Welpen.
Aber bereits hier gibt es ein Lernvermögen. Lässt man einer Hündin nur einen einzigen Welpen, dann schreit er nicht, wenn die Hündin das Lager verlässt und er alleine zurückbleibt. Er findet sich damit ab. Es ist kaum zu glauben, wenn man erlebt, was ein Welpe aufführt, legt man ihn 30 Zentimeter neben seine Geschwister. Das Einzelkind aber ist ganz still und brav und tut so, als gäbe es diesen Drang zum Kontaktliegen überhaupt nicht.
Sowenig wie es einen Sozialbezug gibt, sowenig gibt es irgendein Interesse für die Umwelt, sieht man vom Gesäuge der Mutter ab, das den Mittelpunkt des frühen Welpenlebens darstellt. Der Ausdruck"Vegetativ" für diese Phase könnte nicht besser gewählt sein. Es ist wirklich nichts anderes als eine Fortsetzung des unbewußten Lebens im Mutterleib, ein Zeitraum, der nur dem Wachstum und der Gewichtszunahme dient.
In diesem Zusammenhang sei noch hinzugefügt, daß die festen und flüssigen Ausscheidungen der kleinen Freßsäcke auch eine Angelegenheit der Mutter sind. Zunächst erzeugt diese in den ersten 24 Stunden eine abführend wirkende Milch (die sogenannte Kolostralmilch), durch die - das Darmpech (Verdauungsrückstände aus der vorgeburtlichen Zeit) abgeschieden wird. Dieses, wie alle späteren Fäkalien, wird sorgsam von der Mutterhündin abgeleckt. Man kann immer wieder sehen, wie die Hündin mit ihrer Zunge die Bäume der Welpen bearbeitet, eine Massage, die den Stuhlgang der Kleinen erleichtert, und auch das Urinieren wird durch Zungenmassage ausgelöst.
Obgleich die Saugwelpen eine sehr kräftige und bewegliche Zunge haben, säubern sie sich noch nicht selber das Maul von Milchrückständen. Auch das muß die Mutter tun, die sich überaus hingebungsvoll allen diesen Tätigkeiten widmet. In den ersten 24 Stunden nach der Geburt ist sie so angestrengt damit befaßt, daß sie für gewöhnlich das Wurflager überhaupt nicht verläßt. Gute, erfahrene Rüden kommen dann mit Futter an, womit sie sich auch gleich die Erlaubnis erwirken, den hoffnungsvollen Nachwuchs betrachten zu dürfen. Von da ab beteiligt sich der Rüde aktiv an der Welpenbetreuung, wobei er mit den Kleinen ebenso geschickt umgeht wie die Hündin.
zitiert von Eberhard Trumler aus seinem Buch:“Hunde ernst genommen”, Piper Verlag,1989, 9.Auflage